
Neuherberg 28. Januar 2016. Wissenschaftler um Dr. Carsten Marr vom Helmholtz Zentrum München und... Eine der wichtigsten Modifikationen ist die Acetylierung von Histon-Proteinen, die im Zellkern einen schützenden Mantel um die dicht gepackte DNA bilden. Kleine Acetylgruppen dienen dabei als molekulare Schalter, mit denen die Zelle die Zugänglichkeit und damit die Aktivität von Genen regulieren kann. Vermittelt wird die Acetylierung von Enzymen, die Acetylgruppen spezifisch auf bestimmte Proteinbausteine übertragen beziehungsweise wieder entfernen. Dabei kann ein Histon mehrere Acetyl-Andockstellen besitzen, sodass räumlich benachbarte Acetylierungen zu Mustern – sogenannten Motiven – kombiniert sein können. „Wir gehen davon aus, dass dabei nicht nur die einzelne Acetylierung eine Funktion hat, sondern auch das Muster als Ganzes“, sagt Becker. In einer früheren Studie, bei der Beckers Team Acetylierungsenzyme systematisch stilllegte, fanden die Wissenschaftler außerdem zu ihrer Überraschung, dass in der Nähe der Zielstruktur des ausgeschalteten Enzyms neue Acetylierungen hinzukamen, sodass die Summe der Acetylierungen innerhalb eines Motivs sehr ähnlich blieb.
Komplexe Interaktionen
„Im Unterschied zu bisherigen Theorien scheinen sich benachbarte Acetylierungen also gegenseitig zu beeinflussen“, sagt Christian Feller, der das Projekt während seiner Doktorarbeit vorangetrieben hat. „Bestimmte Motive kommen häufiger vor als andere. Auch das spricht dafür, dass Acetylierungs-Motive nicht zufällig entstehen. Wegen der sehr komplexen Interaktionen zwischen den beteiligten Molekülen kann man mit biochemischen Methoden alleine allerdings nicht aufklären, welche Mechanismen zur Bildung bestimmter Motive führen.“ Aus diesem Grund kombinierten die Wissenschaftler die experimentellen Daten aus der früheren Studie mit einem theoretischen Ansatz: Das Drosophila-Histon H4 trägt an einem Ende vier benachbarte acetylierbare Bausteine, sodass potenziell 16 verschiedene Motive entstehen können – je nachdem, welcher Baustein acetyliert oder nicht acetyliert vorliegt. Welches Motiv wie oft vorkommt, hatte Beckers Team bereits experimentell ermittelt. Der Bioinformatiker Marr simulierte nun die Entstehung dieser Motive mithilfe mathematischer Modelle, mit denen sich anhand vorgegebener Randbedingungen – etwa der Acetylierungsraten – errechnen lässt, wie häufig ein bestimmtes Motiv vorkommt. Anschließend verglichen die Wissenschaftler die Ergebnisse mit den experimentell ermittelten Daten – je besser die Werte übereinstimmen, desto besser spiegelt das Modell die Realität wider.Mehr als eine Milliarde Modelle
Die Modelle wurden dann durch Variation der Randbedingungen immer weiter verbessert und neu gerechnet. „Insgesamt haben wir mehr als eine Milliarde Modelle durchgerechnet, bis wir das bestmögliche Modell identifizieren konnten“, sagt Marr. „Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass spezifische Enzyme die Bausteine mit jeweils unterschiedlichen Raten acetylieren, und dass existierende Acetylierungen die Modifikation benachbarter Bausteine beeinflussen.“ Die mathematische Modellierung bestätigt damit, dass die Acetylierung motiv-spezifisch ist. Darüber hinaus bildet das Modell auch die Reaktionswege ab und ermöglicht damit einen genaueren Einblick in das Netzwerk der beteiligten Enzyme. In einem zweiten Schritt zeigte der Vergleich mit experimentellen Daten, dass die Simulation gut voraussagt, was sich durch den Ausfall bestimmter Enzyme ändert. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist das Modell ein wertvolles Instrument, um auch die Funktion von Enzymen zu untersuchen, zu denen es noch keine experimentellen Daten gibt. „Auf diese Weise können wir einen tieferen Einblick in die Mechanismen der Acetylierung gewinnen und möglicherweise in Zukunft Methoden entwickeln, die Histon-Acetylierung gezielt zu beeinflussen“, sagt Becker. „Dies hätte potenziell auch therapeutische Relevanz, da Fehler bei der Histon-Acetylierung zur Entstehung zahlreicher Krankheiten beitragen.“Weitere Informationen
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