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Neue Nervenzellen fürs Gehirn

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NervenzellenTransplantierte Nervenzellen (blau) verknüpfen sich im adulten Gehirn von Mäusen spezifisch und stabil mit Nervenzellen des Empfängergewebes (gelb) und können durch Verletzungen entstandene Lücken im neuronalen Netzwerk schließen. Quelle: Sofia Grade (LMU/Helmholtz Zentrum München)
Junge Nervenzellen integrieren sich vollständig in beschädigte Nervennetzwerke der Sehrinde, wie... Verliert unser Gehirn Nervenzellen, kann es diesen Verlust selbst kaum kompensieren. Wissenschaftler und Ärzte hoffen daher, mit transplantierten Nervenzellen Schäden durch Verletzungen oder Krankheiten auszugleichen. Inwieweit sich die neuen Zellen in ein bestehendes Nervennetzwerk integrieren und dessen Aufgaben übernehmen können, ist jedoch unklar. Nun zeigen Wissenschaftler um Prof. Magdalena Götz, Direktorin des Instituts für Stammzellforschung am Helmholtz Zentrum München, im Versuchsmodell, dass transplantierte embryonale Nervenzellen zu gleichwertigen Mitgliedern eines bestehenden Nervennetzwerks heranwachsen und die Aufgaben ihrer neuen Position vollständig übernehmen. In der gemeinsamen Studie, die vom  Sonderforschungsbereich 870 der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wurde, untersuchten die Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München, der Ludwig-Maximilians Universität München und des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie nun die funktionale Integration transplantierter Nervenzellen in der Sehrinde der Maus. "Dieser Hirnbereich war optimal für unsere Untersuchungen“, erklärt Magdalena Götz, die sich die Leitung der Studie mit Mark Hübener teilte. Der fügt hinzu: „Mittlerweile kennen wir die Verknüpfungen und Funktionen dieser Nervenzellen so gut, dass wir einschätzen konnten, ob die neuen Nervenzellen echte Aufgaben im Netzwerk übernehmen.“ Im Versuch transplantierten die Forscher embryonale Nervenzellen der Großhirnrinde in läsionierte Sehrindennetzwerke erwachsener Mäuse. Im Verlauf der folgenden Wochen und Monate beobachteten die Neurobiologen dann unter dem Zwei-Photonen-Mikroskop, wie sich die unreifen Nervenzellen zu den sogenannten Pyramidenzellen ausdifferenzierten, die in den beschädigten Bereich gehören. „Allein zu sehen, dass die Zellen überleben und sich weiterentwickeln, war schon eine aufregende Beobachtung“, berichtet Hübener. „Doch richtig spannend wurde es, als wir die Signale der neuen Zellen näher unter die Lupe genommen haben.“ In ihrer gemeinsamen Studie konnten die Wissenschaftlerinnen Susanne Falkner und Sofia Grade zeigen, dass die neuen Zellen sich genauso wie die Nervenzellen dieser Region verknüpfen und auf Sehreize antworteten. Zum ersten Mal konnten auch die Verbindungen der transplantierten Nervenzellen im Gehirn untersucht werden. Erstaunlicherweise verknüpfen sich die Pyramidenzellen, die aus den transplantierten Jungzellen entstanden waren, mit exakt den richtigen Nervenzellen im gesamten Netzwerk des Gehirns. So erhielten sie die gleichen Informationen wie die ausgefallenen, ursprünglichen Zellen des Nervennetzwerks und konnten diese entsprechend verarbeiten. Auch die nachgeschalteten Nervenzellen entsprachen denen der untergegangenen Zellen. „Die fremden Nervenzellen haben somit mit hoher Genauigkeit eine Lücke in einem neuronalen Netzwerk geschlossen, das unter natürlichen Umständen niemals neue Nervenzellen integrieren würde“, ordnet Magdalena Götz die Ergebnisse ein. Die neue Studie zeigt nun, dass mit Hilfe fremder Zellen auch das erwachsene Säugetiergehirn seine Regenerationsfähigkeit behält und so funktionale Lücken in einem bestehenden Netzwerk schließen kann.

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Hintergrund: Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, aber auch ein Schlaganfall oder bestimmte Verletzungen, führen zum Verlust von Nervenzellen. Da das Säugetiergehirn verlorene Nervenzellen nur in einzelnen, kleinen Bereichen selbst ersetzen kann, ist der Zellverlust in der Regel permanent. Die Transplantation junger Nervenzellen in ein betroffenes Nervennetzwerk, zum Beispiel bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit, lassen auf die Möglichkeit einer medizinischen Verbesserung der klinischen Symptome hoffen. Ob die in bisherigen Studien transplantierten Zellen jedoch helfen, vorhandene Lücken zu überbrücken, oder ob sie tatsächlich die Aufgaben der verlorenen Zellen übernehmen, blieb unbekannt.
Original-Publikation: Falkner, S. & Grade, S. et al. (2016): Transplanted embryonic neurons integrate into adult neocortical circuits. Nature, doi: 10.1038/nature20113
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.  Das Institut für Stammzellforschung (ISF) untersucht die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Stammzellerhaltung und -differenzierung. Daraus entwickelt das ISF Ansätze, um defekte Zelltypen zu ersetzen, entweder durch Aktivierung ruhender Stammzellen oder Neuprogrammierung anderer vorhandener Zelltypen zur Reparatur. Ziel dieser Ansätze ist die Neubildung von verletztem, krankhaft verändertem oder zugrunde gegangenem Gewebe.  Die LMU ist eine der führenden Universitäten in Europa mit einer über 500-jährigen Tradition. Sie bietet ein breites Spektrum aller Wissensgebiete – die ideale Basis für hervorragende Forschung und ein anspruchsvolles Lehrangebot. Es reicht von den Geistes- und Kultur- über Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis hin zur Medizin und den Naturwissenschaften. 15 Prozent der 50.000 Studierenden kommen aus dem Ausland – aus insgesamt 130 Nationen. Das Know-how und die Kreativität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden die Grundlage für die herausragende Forschungsbilanz der Universität. Der Erfolg der LMU in der Exzellenzinitiative, einem deutschlandweiten Wettbewerb zur Stärkung der universitären Spitzenforschung, dokumentiert eindrucksvoll die Forschungsstärke der Münchener Universität.  Das Max-Planck-Institut für Neurobiologie ist eines von derzeit 83 unabhängigen Forschungsinstituten der Max-Planck-Gesellschaft. Die Forschung des Instituts findet an den Grenzen des bisherigen Wissens statt mit dem Ziel, die grundlegenden Funktionen, den Aufbau und die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems zu verstehen. Die Wissenschaftler nutzen für ihre Arbeit die modernsten Methoden aus der Genetik, Molekularbiologie, Computersimulation und Mikroskopie oder entwickeln diese selbst. Das Max-Planck-Institut für Neurobiologie beschäftigt rund 300 Mitarbeiter und hat seinen Sitz am Life Science Campus Martinsried, im Südwesten von München. 

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